Berliner IHK-Präsident: Azubis aus Namibia bieten großes Potenzial

Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin, erklärt im Interview, mit welchem kreativen Ansatz
sich die IHK Berlin dem Fachkräftemangel annehmen will.

Herr Stietzel, wieso will die IHK Berlin Fachkräfte in Namibia ausbilden?

Wir beschäftigen uns schon lange mit den Herausforderungen
des Fachkräftemangels hier in Berlin. Derzeit fehlen uns etwa 90.000 Fachkräfte, und die Wirtschaft gibt uns die Rückmeldung, dass es sich längst nicht mehr nur auf Fachkräfte bezieht, sondern
in fast allen Branchen Arbeits- und Fachkräfte fehlen. Schaut man sich unser eigenes Potenzial an, dann wird schnell klar, dass wir zwangsläufig auf den Zuzug internationaler Fachkräfte angewiesen sind. Selbst wenn wir in Zukunft alle Arbeitslosen, alle, die jetzt in der Schule sind, und alle Teilzeitkräfte in Vollzeitarbeit bringen würden, werden wir aufgrund des demografischen Wandels die sich vergrößernde Fachlücke voraussichtlich nicht schließen können.

Aber warum haben Sie ausgerechnet Windhoek als Partner gewählt?

Windhoek ist seit dem Jahr 2000 eine Partnerstadt Berlins. Eine Kooperation zwischen unseren Städten besteht also schon. Es gibt aber weitere Gründe, die für Windhoek sprechen: Namibia liegt in der gleichen Zeitzone wie Deutschland, was die Zusammenarbeit sehr erleichtert. Dass Englisch in Namibia Amtssprache ist, bietet gute Voraussetzungen für unsere Ausbildungsprogramme. Zudem gibt es in Namibia auch eine hohe Affinität für die deutsche Sprache. Das ist wichtig für die Integration in den Arbeitsmarkt. Die Jugendarbeitslosigkeit in Namibia ist mit rund 40 Prozent sehr hoch. Auch von namibischer Seite besteht also großes Interesse an einer Kooperation, die junge Menschen in Arbeit bringt. Das hat uns die Bürgermeisterin von Windhoek, Queen Kamati, immer wieder verdeutlicht.

Wie groß ist denn das Potenzial? Wie viele Menschen wollen Sie jährlich ausbilden?

Das Potenzial ist riesig. Im vergangenen Jahr gab es ein Modellprojekt des Goethe-Instituts in Windhoek, einen Sprachkurs, dessen Absolventen einen Praktikumsplatz bei einem deutschen Unternehmen bekamen. Auf die 25 angebotenen Plätze haben sich 7.000 Namibier beworben. In Windhoek absolvieren jedes Jahr circa 8.000 Menschen eine Ausbildung in einem kommunalen Berufsbildungszentrum. Davon bleiben aber 60 Prozent weiterhin arbeitslos. Wir gehen davon aus, dass etwa die Hälfte dieser Leute bereit sind, eine höhere Berufsausbildung zu durchlaufen. Wir sprechen also von einer Größenordnung von potenziell 2.500 bis 3.000 Absolventen pro Jahr. Selbstverständlich können wir nicht von jetzt auf gleich ein Bildungszentrum für 3.000 Azubis auf die Beine stellen. Aber das Potenzial ist groß genug, ebenso der Bedarf in Berlin.

Wie sieht der Zeitplan aus?

Die Idee entstand im Februar. In den vergangenen Monaten haben wir mit deutschen und namibischen Partnern einen Plan ausgearbeitet. Für November streben wir die Unterzeichnung einer Absichtserklärung in Windhoek an. Abhängig von den infrastrukturellen Voraussetzungen in Windhoek halten wir einen Start für Anfang 2026 für möglich.

Kann die Kooperation mit Windhoek die Arbeitskräftelücke in Berlin schließen?

Nein, nicht allein. In Berlin sind in diesem Jahr mehrere Tausend Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben. Unser Ziel mit der Kooperation mit Windhoek ist es, nicht nur quantitativ mehr Arbeitskräfte für unseren Wirtschaftsstandort zu gewinnen, sondern auch qualitativ die Integration eben jener Fachkräfte sicherzustellen. Der Unterschied ist, dass wir die Ausbildung vor Ort organisieren. Die Teilnehmer sollen in Namibia ihren Berufsabschluss erwerben, Deutsch lernen und auch kulturelle Bildung erhalten. Das wird hoffentlich den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt erheblich erleichtern. Wenn die Kooperation mit Windhoek gut funktioniert, kann man das Projekt ausbauen – mit anderen Partnerstädten, aber auch innerhalb der Region.

Für welche Berufe bilden Sie aus?

Wir wollen uns auf die Berufe konzentrieren, in denen der Bedarf an Arbeitskräften und Fachkräften am höchsten ist. Dazu zählen sicherlich Bereiche wie Unternehmensdienstleistungen und Gastgewerbe, aber auch Berufsbilder aus Industrie und Handwerk. Der Fokus beziehungsweise die Fachrichtung hängt zudem im Wesentlichen von den Unternehmen ab, die mit dem Ausbildungszentrum zusammenarbeiten werden.

Auf welcher Sprache findet die Ausbildung statt?

Die berufliche Ausbildung wird auf Deutsch durchgeführt. Wir wollen die Azubis ja bestmöglich auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereiten. Eine Sprache lernt man am schnellsten, wenn man sie ständig hört und spricht. Aber falls nötig, können die Ausbilder natürlich auch mal etwas auf Englisch erklären. Es ist ein großer Vorteil, dass wir auf eine Sprache zurückgreifen können, die beide Seiten verstehen. Das ist in anderen Ländern, wo die Amtssprache nicht Englisch ist, nicht möglich.

Also werden Sie Ausbilder aus Deutschland nach Namibia bringen?

Wir werden zunächst mit deutschen Ausbildern anfangen. Aber wir wollen auch namibische Ausbilder weiterqualifizieren.

Wie binden Sie Berliner Betriebe in das Projekt ein?

Es gibt drei Möglichkeiten, sich zu engagieren. Der einfachste Weg ist schlicht, aus Namibia Ausbildungsabsolventen einzustellen. Eine zweite Stufe wäre, die Ausbildung ein Stück weit zu begleiten, zum Beispiel durch Praktikumsplätze oder die finanzielle Unterstützung von Azubis. Die dritte Option ist die Einbindung in die Ausbildung mit eigenen Ausbildern. Das bedeutet also Investitionen in eine Niederlassung oder Betriebsstätte in Namibia. Diese Betriebe haben dann natürlich den direktesten Zugang zu den Absolventen. Der Fokus der Kooperation liegt auf einer Ausbildung für den deutschen Arbeitsmarkt.

Wie genau soll die namibische Wirtschaft davon profitieren?

Ja, es ist unsere Intention, dass 100 Prozent der Ausgebildeten auf dem Berliner Arbeitsmarkt landen könnten. Aber aufgrund von Erfahrungswerten wurde uns gespiegelt, dass rund 20 Prozent das Land nicht verlassen werden. Diese Leute stehen dann der namibischen Wirtschaft zur Verfügung. Mittelfristig soll das Projekt aber auch namibischen Unternehmen offenstehen. Einige haben schon Interesse angemeldet, ein Bildungszentrum zu unterstützen und dann von dessen Absolventen zu profitieren.

12.11.2024

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